März 7, 2024

Vive la france! Für reproduktive Selbstbestimmung

Vive la france!
Frankreich schützt das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der
Verfassung. Mit 76% Zustimmung aus der Bevölkerung. C’est formidable!
Die Französinnen und Franzosen schützen dieses Recht in einer Zeit, in der wir in Europa erkennen, dass unsere Demokratien anfälliger sind als gedacht.
Ein besonderer Schutz für dieses Recht ist richtig und wichtig.
Denn immer, wenn Demokratien geschwächt oder beschädigt werden,
wenn rechtsradikale, fundamentalistische, faschistische Strömungen
erstarken, bleiben als erstes Frauenrechte auf der Strecke. Das erste Ziel ist dabei die Abschaffung der reproduktiven Selbstbestimmung, die Erlangung der Macht über den Uterus.

Deswegen kämpfe ich heute, am Internationalen Frauentag, aber auch
allen weiteren 364 Tagen des Jahres, für reproduktive Selbstbestimmung, die so viel mehr bedeutet, als das Recht auf Abtreibung.

Reproduktive Selbstbestimmung ist intersektional zu betrachten.

Dass der Staat sich in die Reproduktion einmischt, also vorgeben will, ob, wann, wer, wie viele Kinder bekommen soll, ist frauenverachtend, aber auch rassistisch.
Denn von Abtreibungen sollen ja in erster Linie weiße
Frauen, gebildete Frauen abgehalten werden. Es sei denn es ist Krieg und es wird Kanonenfutter gebraucht, so wie jetzt in Russland.
Bei PoC – Frauen, Frauen mit Einschränkungen, Frauen aus der
Unterschicht ist der Blick ein anderer. Diese Frauen sollen möglichst
wenige Kinder bekommen.
Völkische Ideologien aus der NS Zeit bestehen weiter.
Die Diskriminierung kinderreicher Familien in nicht weißen migrantischen Milieus ist bis heute ungebrochen.
Deshalb ist der Kampf für reproduktive Rechte ein intersektionaler.

Mehr als 50 Jahre nach der 2. Frauenbewegung in Deutschland müssen wir weiter laut sagen:
Raus aus meinem Uterus. My Body my choice
Reproduktive Selbstbestimmung für alle! Überall!

Vive la france!

Konservative christliche Sozialethik als Grundlage staatlichen Handelns

Die aktuellen staatliche Eingriffe in die reproduktive Selbstbestimmung wie der § 218 StGB in Deutschland, auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 sind nicht medizinisch, nicht naturwissenschaftlich, begründet, sondern fußen in einer konservativen christlichen Sozialethik.
Die Frage, wann Leben beginnt, wird in den Weltreligionen unterschiedlich gesehen und begründet und ist einem steten Wandel
unterworfen. Auch in der katholischen Kirche wurde bis 1869 die Auffassung vertreten, der männliche Embryo sei nach 40 Tagen, der weibliche nach 80 Tagen beseelt(!).

https://www.wissenschaft.de/allgemein/die-sicht-der-weltreligionen/

Heute von „ungeborenem menschlichem Leben“ zu sprechen, um dem Embryo eigene Grundrechte zuzugestehen, mag für gläubige Katholikinnen Sinn machen, ist für alle anderen eine ideologische Zumutung.
Die Regelungen des Strafgesetzbuches stammen aus dem Kaiserreich und atmen den Geist dieses patriarchalen und autoritären Staates, der Frauen kaum Rechte zugesteht und sie strafen will. Die beteiligten Erzeuger bleiben schließlich straffrei.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, dass die derzeitige gesetzliche Regelung zementiert hat, ist für mich zutiefst frauenverachtend. Das Gericht stellt sich auf den Standpunkt, das Grundgesetz verpflichte den Staat menschliches Leben zu schützen
und dazu zähle auch das „Leben des Ungeborenen“.
Was ist das für eine Ethik, die einem nicht lebensfähigen Embryo dasselbe Grundrecht zugesteht wie einer Frau, ja dessen Rechte in der Konsequenz über das einer schwangeren Frau stellt?

Die überzähligen Embryonen, die bei Invitroverfahren anfallen, haben diese Grundrechte übrigens nicht.

Normen und Gesetze verfehlen ihr Ziel

Hinzu kommt: alle religiösen Normen, alle staatlichen Maßnahmen und Strafandrohungen, die versuchen, Einfluss auf schwangere Frauen zu nehmen, das „Leben des Ungeborenen“ zu schützen, bewirken nachweislich keine Verhaltensänderung.
In keinem Land der Welt.

Eine Frau, die abtreiben will, wird abtreiben.
Was diese Strafandrohungen und Gebote aber bewirken, ist die
Stigmatisierung und Kriminalisierung schwangerer Frauen. Und so erweisen sich diese entmündigenden Normen und Gesetze letztlich als patriarchale Instrumente zur Unterdrückung von Frauen.
Wie durchsichtig ist doch das Motiv für die vom ehemaligen Bundesgesundheitsminister
beauftragte Studie zum Thema. Sie sollte Erkenntnisse erbringen, wie sich ein Schwangerschaftsabbruch auf die Psyche von Frauen auswirkt, welche Traumata verursacht werden.
Die Studie wird zwar weiter schön unter Verschluss gehalten, aber die Ergebnisse sind schon durchgesickert. Sie belegen, was jede Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen hat, bestätigen kann: Die allermeisten Frauen sind nach einem Abbruch vor allem sehr sehr erleichtert. Als belastend und beschämend wird aber die
Tabuisierung des Themas, das Schweigen und der diskriminierende Umgang von Ärzten, Krankenkassenmitarbeiter*innen und Öffentlichkeit empfunden. Hätte er die Millionen für die Studie doch in die bessere Versorgung der Schwangeren gesteckt, der Herr Spahn, da wäre das Steuergeld besser angelegt gewesen.

Und so schaue ich am internationalen Frauentag neidvoll nach Frankreich, aber auch in andere europäische Länder, wo die Gleichstellung der Frauen auch in dieser Frage schon viel weiter ist als hier.

Wir müssen mutiger sein.

Ich bin überzeugt, dass es innerhalb unseres normalen Gesetzgebungsverfahrens und des politischen Parteienspektrums nicht zu einer akzeptablen Regelung kommen wird.
Dazu sind die Positionen zu festgefahren. Wenn das inzwischen über 30 Jahre Urteil des Bundeverfassungsgerichts die Messlatte bleibt, wird auch die eingesetzte Kommission dafür nichts leisten können. Deren Vorschläge werden zudem bis zu
Unkenntlichkeit in Ausschüssen und noch mehr in den Medien zerredet und skandalisiert werden.
Ich fürchte, wir werden uns, wie auch in anderen Bereichen der Gesellschaft, z.B.im Gesundheitswesen und der Bildung auch hier nicht von den Erblasten des Kaiserreichs und dessen autoritären und patriarchalen Strukturen befreien. Wir werden erneut unseren Bürgerinnen viel weniger zutrauen als unsere europäische Nachbarn das tun.
Im katholischen Irland ist das Thema in Bürgerräten diskutiert und so zu einem beachtlichen gesellschaftlichen Konsens geführt worden.
Ich meine, auch bei uns muss das Thema zu den Bürger*innen in ihrer ganzen Vielfalt.
Die haben die Expertise.
Seit Jahrzehnten werden jährlich ca.100.000 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland durchgeführt.
Schaut man sich die Altersgruppen in der Bevölkerung an, so leben inzwischen schätzungsweise 7 Millionen Frauen in Deutschland, die einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt haben. Mindestens genau so viele Erzeuger wissen davon und sicher mindestens noch einmal so viele Menschen sind als Familienmitglieder oder Freunde darüber im Bilde. Ca. 20 Millionen Menschen sind und waren bei diesem Thema beteiligt.
Man muss das
Thema ja nur einmal offen ansprechen, dann kommen unzählige Geschichten.
Ich bin für die Öffnung dieser Debatte in einem Bürgerrat.
Nach 50 Jahren Frauenpolitik bin ich es leid. Nichts bewegt sich. Dieser § 218 hat zwei Weltkriege, die Teilung und die Wiedervereinigung von Deutschland überstanden.
Ja, frau weiß nicht, was bei den Bürgerräten herauskommt.
Aber wenn sich nicht grundlegend etwas ändert, gibt es in 10 Jahren in Deutschland vermutlich ohnehin keine Frauenärzt*innen mehr, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Dann wird wieder nach Holland gefahren. Oder nach Frankreich.

Vive la france!

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