Oktober 31, 2022

„Mahnwachen“ und kein Ende?

Abtreibungsgegner*innen vor pro familia

Seit dem 28. September stehen erneut -und durch die derzeitige Rechtsprechung legitimiert- für 40 Tage sogenannte Mahnwachen vor der Beratungsstelle von pro familia in der Palmengarten Straße.

Als ich das erste Mal hörte, dass sogenannte Mahnwachen von Abtreibungsgegner*innen sich für 40 Tage vor pro familia aufbauen, wollte ich das zunächst nicht glauben. Ich lebe doch nicht im Bible Belt der USA,  sondern im liberalen Frankfurt, der Heimat des Instituts für Sexualwissenschaft!

Dass sich hier Menschen öffentlich zusammenfinden, um auf ungewollt schwangere Frauen* und Mitarbeitende so einzuwirken, dass Schwangerschaftsabbrüche unterbleiben, konnte, so dachte ich, doch nur Spinner sein, die man am besten ignoriert. Sicher nur ein Spuk, der auch schnell wieder verschwindet.

Weit gefehlt.  Es sind keineswegs harmlose Spinner. Sie sind bestens organisiert, finanziert, rechtlich beraten  Seit 2017 stehen sie nun zweimal jährlich für 40 Tage vor der Beratungsstelle.

Zahlreiche Proteste und auch ein Erlass des Hessischen Ministers des Inneren konnten das bisher nicht verhindern.

Kundgebung der Frankfurter GRÜNEN am 28. Oktober

Wir setzen darauf, dass die Ampel in Berlin ihr Versprechen einlöst und eine Schutzzone in Sicht-und Rufweite von Beratungsstellen, Arztpraxen und Kliniken schafft. So wurde es in England und Irland gerade beschlossen und gilt in Frankreich schon lange. Bis dahin wollten wir aber nicht völlig untätig bleiben, sondern die „Mahnwachen“ etwas „stören“. Wir zeigen ihnen, dass sie in Frankfurt nicht willkommen sind. Vor allem aber setzen wir ein Zeichen der Solidarität für die Mitarbeitenden von pro familia, die diese Aggressionen jetzt seit Jahren aushalten müssen. Es war super, wie viele grüne Freund*innen der sehr kurzfristigen Idee aus der Frauen*AG gefolgt sind! Danke an Natalie und das KGS Team für die Orga und Danke an Rosemarie, Miriam und Beatrix für eure kämpferischen Redebeiträge! Das Wetter hat anders als im März mitgespielt, wir waren deutlich lauter als die Abtreibungsgegner*innen und eine gute Presse hatten wir auch:-)

Hochkonzentrierte Podiumsdiskussion

Schon zuvor, am 10. Oktober 2022, hatte ich aber mit dem pro familia Landesverband Hessen, dem Projekt sexuelle und produktive Rechte KONKRET und mit dem Bündnis Frankfurt für Frauen*rechte eine Veranstaltung zum Thema mit vorbereitet und dann auch moderiert.

Unser Recht: Freier Raum. Belästigungen vor Beratungsstellen stoppen!

So lautete der Titel der Podiumsdiskussion mit Expert*innen am 10. Oktober 2022 ab 18 Uhr in der Evangelischen Akademie. Aber nicht nur juristisch wurde das Recht ratsuchender Frauen* im öffentlichen Raum im Rahmen der Veranstaltung beleuchtet. In den Fokus genommen wurden auch die Auswirkungen der Dauerbelagerung auf ratsuchende Frauen* und die Arbeit der Beratungsstelle. Wie die Aktivitäten der Abtreibungsgegner*innen im Kontext antifeministischer Diskurse nicht nur in Frankfurt, sondern europaweit einzuordnen sind und welche Beschämungsstrategien eingesetzt werden, waren weitere Aspekte der spannenden Diskussion. 

Auf dem Podium und mit den Gästen diskutierten Claudia Hohmann, Leiterin der Beratungsstellen pro familia Frankfurt, Sarah Praunsmändel, Rechtswissenschaftlerin Goethe Universität, Terry Reintke, stellv. Vorsitzende der Fraktion Grüne/EFA im europäischen Parlament, Dr. Marianne Schmidbaur, Cornelia Goethe Centrum für Frauenstudium und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse, Frankfurt, Noreen von Schwanenflug, Verwaltungsjuristin.

Zusammen mit Bianca Schimmel von pro familia Hessen habe ich die Veranstaltung moderiert. Das war die erste Zusammenarbeit von Bianca und mir. Es hat wunderbar geklappt und viel Spaß gemacht. Wird fortgesetzt!

Fazit

Für die Juristinnen auf dem Podium und unter den Gäst*innen war es am Ende klar: wir brauchen die bundesgesetzliche, rechtssichere Regelung. „Die derzeitige Rechtsprechung lässt die Frauen* im Stich“, so resümierte Noreen von Schwanenpflug. Patriarchales Denken zieht sich durch die richterlichen Ausführungen. Als fatal wurde auch bezeichnet, dass dieses „von toxischer Männlichkeit geprägte Urteil der VG Frankfurt“, wie Sarah Praunsmändel es formulierte, inzwischen auch von anderen Instanzen, auch in anderen Bundesländern aufgenommen und zitiert wird.

Wichtige Erkenntnis ist aber auch, dass wir im Kampf für die Frauen*rechte nicht nachlassen dürfen. Nichts, was bisher errungen wurde, kann als dauerhaft gegeben angesehen werden. Die organisierte Rechte in Europa, die die „natürliche Ordnung“ wieder herstellen will, ist bestens organisiert, finanziert und kampagnenfähig. Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Die gesellschaftliche Debatte um den § 218 StGB und europäische Solidarität sind geboten.

Galerie

Durch die Vermittlung vorn Noreen hatten wir einen professionellen Fotografen bei der Veranstaltung. Danke an Bernd Kammerer für die tolle Dokumentation.

Kommentar verfassen