Mai 11, 2020

Klimanotstand (Juni 2019)

„Wer grüne Umfragewerte für gefährlicher hält als die realen Bedrohungen des Klimawandels, der hat, salopp gesprochen, das Knacken des Permafrostbodens noch nicht gehört“

Meine Rede zu dringend notwendige Anstrengungen zur Bekämpfung der Klimakrise und dem Verzicht auf symbolische Erklärungen.

Frau Vorsteherin,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Kann es uns gelingen, dass wir hier zusammen konstruktiv über Klimaanpassung und Klimaschutz sprechen? Darüber, wie wir erreichen, dass klimaorientiertes Denken und Handeln zur Norm wird bei jedem Magistratsmitglied, jeder Amtsleitung, jeder Mitarbeiterin, jedem Mitarbeiter, bei Unternehmen, Institutionen und vor allem bei uns, den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt. Es wäre jetzt doch einmal Zeit dazu.

Der Bericht B 172 zu Fotovoltaik auf Privatgebäuden zeigt doch das ganze Dilemma. Wir haben den Ausbau von Fotovoltaik und Solarthermie 2005 im Masterplan festgeschrieben. Wir haben das Thema 2007 in die Leitlinien für wirtschaftliches Bauen übernommen. Wir haben den Fotovoltaikausbau im Koalitionsvertrag verankert. Wir haben zuletzt mit einem Haushaltsantrag gefordert, die Potenziale, die Frankfurts Dächer bieten, bei öffentlichen, aber noch mehr bei privaten Gebäuden zu realisieren. Lediglich drei Prozent der 55.000 Quadratmeter Dachfläche sind auf städtischen Gebäuden.

Die Berichte zu diesem Thema zeigen schon, dass sich etwas bewegt. Das Vorgehen der ABG Frankfurt Holding und der Nassauischen Heimstätte ist vorbildlich. Ebenso wie die Aktivitäten im nachhaltigen Gewerbegebiet, aber wir haben keine Welle erzeugt. Die braucht es aber für den Umstieg auf die erneuerbaren Energien, den Ausstieg aus der Kohle und anderen fossilen Brennstoffen.

(Beifall)

Wir werden also wohl den Leuten aufs Dach steigen müssen. Ortsbeiräte, Vereine, Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer und Unternehmen, wir müssen sie für die Kombination Fotovoltaik und Dachbegrünung, für Klimaschutz und Klimaanpassung gewinnen und gegebenenfalls verpflichten. Das lokale Handwerk und die zahlreichen Akteurinnen und Akteure der Stadt mit ihrem Know-how müssen wir dabei zu unseren Verbündeten machen. Das ist eine Aufgabe für die ganze Stadt, aber der Impuls dazu muss von den Magistratsmitgliedern ausgehen. Amtsleiterinnen und Amtsleiter haben ein sehr gutes Gespür dafür, was ihre Dezernentinnen und Dezernenten tatsächlich erwarten. Ein Verharren in Dezernats- und Ämterstrukturen ebenso wie in Politikritualen, in parteitaktischen Stellungskriegen wäre angesichts der Fakten schlicht irrational.

Wer noch immer die, ich zitiere, „beispiellose Beschleunigung des Klimawandels leugnet, als Hype, Hysterie, Alarmismus diffarmiert, wer grüne Umfragewerte für gefährlicher hält als die realen Bedrohungen des Klimawandels, der hat salopp gesagt das Knacken des Permafrostbodens noch nicht gehört.“

(Beifall)

Die Lage ist ernst. Der Permafrost ist nicht länger der Permafrost. Es ist ein Prozess in Gang gesetzt, der in Teilen nicht mehr zu stoppen ist. Viele haben gestern über fast 40 Grad Hitze gestöhnt. Aber es werden erst wieder die Wiesen verdorren und die Wälder brennen müssen, bis manche aus dem Traum vom mediterranen Klima aufwachen. Frankfurt wird kein südliches Flair gewinnen. Wir bekommen stattdessen lange, heiße, dürre Sommer und im Frühjahr und Herbst verheerende Starkregen und Stürme. Eine Kombination, die unsere Flora und Fauna, die Landwirtschaft existenziell gefährdet, ebenso wie grundlegende Infrastruktur, Kultureinrichtungen und unsere Gesundheit. Deswegen haben wir Vorsorge, Daseinsvorsorge zu leisten. Die Stadt muss abgekühlt werden. Das geht vor allem durch Grün, Grün und nochmals Grün.

(Beifall)

Überall in Parks, an Fassaden, Dächern, Vorgärten, Hinterhöfen, Straßen, Plätzen, Gleisen, denn nur so können wir vermeiden, dass wir künftig für jede Kita eine Klimaanlage anschaffen müssen. Bäume und Pflanzen binden CO2, filtern die Luft, kühlen ab, sind natürliche Klimaanlagen. Klimaanpassungsmaßnahmen sichern das heute. Es braucht aber schnelle, ambitionierte Klimaschutzanstrengungen, um auch für die Zukunft gesunde Lebensverhältnisse in Frankfurt und überall auf der Erde zu schaffen. Natürlich, lieber Robert, muss man auch von Frankfurt aus die Welt retten. Von wo aus denn sonst?

(Beifall)

Gerade eine Stadt mit so hoher Produktivität und einer solchen Wachstumsdynamik wie Frankfurt kann und sollte vorangehen. Wir haben jährlich 15.000 mehr Einwohnerinnen und Einwohner sowie über 350.000 Pendle-rinnen und Pendler und Tausende Touristinnen und Touristen täglich. Alle wollen irgendwo unterkommen, essen, online gehen. Es darf aber nicht im selben Maße CO2-Steigerungen geben. Wir haben zudem zwei für Frankfurts Wirtschaft wichtige Treiber, die aber auch große CO2-Treiber sind. Den Flughafen, er war heute schon Thema, und den Internetknoten mit inzwischen 20 Rechen-zentren, die jeweils den Energieverbrauch von Gießen haben. Gibt es einen klimaneutralen Flugverkehr? Nein, den gibt es nicht, auch wenn über E-Flieger für Kurzstrecken und andere Treibstoffe nachgedacht wird. Aber es gibt vieles, was zu verändern ist. Maßnahmen und Gesetze, die einen Anreiz für zusätzliches, verbilligtes Fliegen schaffen, also einen Anreiz, mehr CO2 in die Luft zu blasen, haben keine Daseinsberechtigung mehr.

(Beifall)

Das gilt für die Steuerfreiheit von Kerosin ebenso wie Incentive Systeme von Fraport, die die Fluglärmkommission zum Glück aktuell kritisiert hat. Auch hier ist der Magistrat gefragt. Wir GRÜNEN stellen auch die Frage, wie die Digitalisierung klimaneutral zu gestalten ist. Bei den Rechenzentren gibt es schon vielversprechende Ansätze, energiearme Kühlmethoden einzusetzen und die Abwärme in Nahwärmenetzen zu nutzen, aber es bleibt noch ein großes Vorschuss- und Handlungsfeld, bei dem Entwicklungen nicht verpasst werden dürfen. Wenn es nach uns GRÜNEN geht, sollte sich Frankfurt hier an die Spitze der Bewegung setzen. Bei der Gebäudedämmung haben wir das schon erreicht. Die Beheizung von Gebäuden ist mit 30 Prozent der Emissionen verantwortlich, und hier führt Frankfurt, auch weil wir GRÜNEN über Jahre den Passivhausstandard durchgesetzt haben.

(Beifall)

Daran gibt es bis heute Kritik, aber es wurde erreicht, dass das Thema präsent ist und neben Kritik auch viel Kreativität freigesetzt wurde, wie es noch besser geht, wie die CO2‑Bilanz zum Beispiel schon bei der Wahl von Baumaterial optimiert werden kann.

Klimaschutz ist nicht alles, heißt es. Das ist nicht falsch, wenn man damit sagen will, dass jemand, der seine Rechnungen nicht bezahlen kann, für die größere Familie keine Wohnung findet, zwei Jahre im Frauenhaus festsitzt, weil es keine Wohnung gibt, schwer krank oder in einer anderen persönlichen Notlage ist, morgens nicht als Erstes an den Klimaschutz als dringendstes Problem denkt. Dennoch wollen auch all diese Menschen, dass diese natürlichen Lebensgrundlagen für sie und ihre Kinder erhalten bleiben. Die Folgen des Klimawandels werden zuerst genau wieder diese Menschen treffen, die keine Möglichkeiten haben, im wahrsten Sinne des Wortes, ihre Schäfchen ins Trockene und Kühle zu bringen. Dann wird es sich in naher Zukunft zeigen, ohne Klimaschutz ist alles nichts.

(Beifall)

Klimaveränderungen sind weder sozial noch demokratisch noch gerecht, aber sie verschärfen die sozialen Schieflagen, die es ohnehin gibt. Deswegen gibt es kein Entweder‑oder. Klimaschutz ist die soziale Frage dieses Jahrhunderts.

(Beifall)

Aber haben wir einen Klimanotstand? Ich zitiere mit Erlaubnis der Vorsteherin: „Notstand ist der Zustand gegenwärtiger Gefahr für rechtlich geschützte Interessen, dessen Abwendung nur auf Kosten fremder Interessen möglich ist.“ Bei der Notstandsgesetzgebung, die maßgeblich für meine Politisierung verantwortlich ist, ging das auf Kosten der Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Die Wohnungsnot nach dem Krieg hat zur Wohnungszwangsraumbewirtschaftung geführt, also der Verteilung und Belegung aller Wohnungen, auch der privaten, durch den Staat. Sind wir beim Klimawandel in vergleichbarer Situation? Brauchen wir eine Zwangsverwaltung?

Der Klimawandel ist ohne Frage eine aktuelle Bedrohung, auch wenn noch nicht alle Menschen das so sehen. Es ist aber noch nicht zu spät, etwas zu tun. Auch das ist die Botschaft aller Klimaexperten. Wir haben die Chance, das Ruder herumzureißen. Ohne Frage müssen wir weitere Leitplanken und Vorgaben machen, damit die Richtung stimmt und auch Planungssicherheit für die Wirtschaft, für alle in der Gesellschaft herrscht. Die augenblickliche Situation bietet aber auch Chancen. Chancen, Fehlentwicklungen in der Energiegewinnung, Mobilität, Stadtentwicklung und Industrie nachhaltig zu korrigieren, und wir haben derzeit eine große Zivilgesellschaft zur Unterstützung dafür.

Stellvertretende

Stadtverordnetenvorsteherin

Dr. Renate Wolter-Brandecker:

Kommen Sie bitte zu Ihrem letzten Satz. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Stadtverordnete Ursula auf der Heide, GRÜNE:

(fortfahrend)

Ja, danke!

Wir haben die Chance, etwas zu tun. Nutzen wir sie doch zusammen, sonst müssen wir in Frankfurt wirklich den Klimanotstand ausrufen.

Danke schön!

(Beifall)