November 25, 2019

Istanbul Konvention umsetzen (November 2019)

Die Istanbul Konvention, wie die KONVENTION DES EUROPARATES ZUR VERHÜTUNG UND BEKÄMPFUNG VON GEWALT GEGEN FRAUEN UND HÄUSLICHE GEWALT, genannt wird, benennt geschlechtsspezifische Gewalt als das, was sie ist: eine Menschenrechtsverletzung. Die Bundesrepublik hat sich mit der Ratzifierung skandalös viel Zeit gelassen und genauso zögernd gestaltet sich die Umsetzung. Das ist aber kein Grund auf kommunaler Ebene tatenlos zuzusehen. Die Frankfurter Grünen haben hierzu einen umfangreichen Beschluss gefasst und im Römer konnten wir Mehrheiten für erste Umsetzungen gewinnen.

In der STVV vom November 2019 wurde das Thema sowohl in der Aktuellen wie auf der TO 1 debattiert. Hier meine Redebeiträge.

Aktuelle

Herr Stadtverordnetenvorsteher,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ja, Deutschland hat beschämend spät die Istanbul-Konvention ratifiziert. Ja, es gibt Handlungsbedarf und Handlungspflicht auf allen staatlichen Ebenen, im Bund, im Land, in den Kommunen, auch in Frankfurt. Die Einrichtung von Koordinierungsstellen ist dabei aber das geringste Problem, aber sie ist natürlich auch notwendig. In Hessen ist die Umsetzung der IK im Koalitionsvertrag verankert und mit ersten Mitteln versehen. Die Koordination liegt bei der Staatssekretärin im Sozialministerium. Auch in Frankfurt werden wir das rechtzeitig lösen, aber Planstellen in Dezernaten und Ministerien sind für uns GRÜNE nicht die brennenden Fragen. Das sind andere, die ich hier gar nicht skizzieren will.

Ich gebe eine Triggerwarnung: Eine Frau wird seit Jahren von ihrem Mann, mit dem sie zwei Kinder hat, geschlagen. Schließlich zeigt sie ihn an, er wird der Wohnung verwiesen, es ergeht ein Näherungsverbot. Nach einiger Zeit überzeugt der Mann die Behörden, dass er einsichtig ist und reklamiert den Umgang mit den Kindern. Die Polizei bringt ihn zur Wohnung. Als der Vater die Wohnung betritt, legt sich der Vierjährige starr auf den Boden und stellt sich tot. In diesem Beispiel ist Schlimmeres unterblieben. Aber in Deutschland lässt das Umgangsrecht den Anwendenden einen erheblichen Spielraum. „Es gibt starke Zweifel daran, ob die rechtmäßige Berücksichtigung häuslicher Gewalt in Deutschland in der Entscheidungspraxis der Familiengerichte sichergestellt ist. Es gibt gesetzgeberischen Handlungsbedarf in Deutschland“, so die UN‑Frauenrechts-konvention.

Eine weitere Triggerwarnung: Eine Frau mit französischer Staatsangehörigkeit wird von ihrem Mann ununterbrochen überwacht, kontrolliert und bedroht. Er nimmt ihr die Scheckkarte und den Pass ab. Sie wendet sich an eine Beratungsstelle und hofft auf einen Platz in einem Frauenhaus. Die Häuser sind belegt. Sie erfährt aber auch, dass sie nicht aufgenommen werden kann, weil für Personen im EU‑Ausland keine Ansprüche nach dem SGB bestehen. Dieses Beispiel zeigt: Es gibt zu wenig Frauenhausplätze, auch in Frankfurt. Die derzeitige Finanzierung über Einzelfallbetrachtungen führt aber außerdem dazu, dass zum Beispiel Auszubildende, Studentinnen und Frauen aus dem EU‑Ausland keinen Platz in einem Frauenhaus finden. Auf die besonders dramatische Situation behinderter und geflüchteter Frauen, die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt sind, werde ich im Rahmen der Tagesordnung I eingehen.

Geschlechtsspezifische Gewalt in allen ihren Formen ist Alltag in Frankfurt. Wir sind nicht schlecht aufgestellt, aber es gibt Handlungsbedarf, wie die Beispiele zeigen sollten. Die Istanbul-Konvention schafft Fakten: Prävention und Unterstützung bei jeder Form geschlechtsspezifischer Gewalt sind nicht länger freiwillige, bei Haushaltsrestriktionen disponible Leistungen der Kommunen – sie sind Pflichtaufgaben!

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Ihre Redezeit ist überschritten.

Stadtverordnete Ursula auf der Heide, GRÜNE:

(fortfahrend)

Ja, im Rahmen der Tagesordnung I werde ich dazu mehr ausführen. Bitte bleiben Sie wach!

(Beifall, Heiterkeit)

TO1

Herr Vorsteher,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Zu Beginn möchte ich auf einige Aussagen in der Aktuellen Stunde eingehen. Da wurde doch allen Ernstes behauptet, die Stadt, die Frauendezernentin und die Koalition würde die Frauen im Stich lassen, weil es noch keine Koordinierungsstelle gäbe und die Maßnahmen unvollständig aufgelistet seien. Also bei allem Verständnis dafür, dass die Opposition ihrer Rolle gerecht werden muss, das ist wirklich völlig absurd.

(Beifall)

Keine der NGOs würde diese Auffassung teilen, im Gegenteil, bei allen Wünschen, die noch offen sind, steht Frankfurt auch aus Sicht der Beteiligten im Vergleich gut da. Wir waren keineswegs untätig in Frankfurt. Das Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist schon seit 30 Jahren auf der Agenda. Es gibt ein Netz von NGOs, ein Netz von Maßnahmen und Projekten und es gibt dafür Mittel, bisher freiwillige Mittel, aber keineswegs unerhebliche Mittel im Haushalt der Stadt und des Landes. Es gibt mehrere Frauenhäuser, das Verfahren zur medizinischen Akutversorgung nach Vergewaltigung ist in sieben Kliniken etabliert, wir haben Fluchtwohnungen für junge Mädchen und Frauen, umfangreiche Beratungsstellen und auf Initiative des Landes neu ein Hilfenetz für von Ehegewalt Betroffene und vieles mehr.

Dennoch, das habe ich ja versucht, in der Aktuellen Stunde deutlich zu machen, gibt es auch in Frankfurt noch Versorgungslücken, gibt es Handlungsbedarf, um den Anforderungen der Istanbul-Konvention in vollem Umfang zu entsprechen. Es gibt nicht nur zu wenige Frauenhausplätze, es gibt strukturellen Handlungsbedarf. Auf die Situation zum Beispiel für Studentinnen, EU‑Bürgerinnen und Frauen aus Botschaften hatte ich bereits hingewiesen. Aber auch auf behinderte und suchtkranke Frauen ist die derzeitige Frauenhausstruktur überhaupt nicht eingestellt. Dramatisch ist die Situation für geflüchtete Frauen. Deutschland hat sich bei der Ratifizierung geweigert, Artikel 39 der IK umzusetzen. Das bedeutet, dass zum Beispiel Frauen mit einem ehegattenunabhängigen Aufenthalt als Gewaltbetroffene keine Aussetzung des Ausweisungsverfahrens erhalten. Das heißt, sie können auch in ein Herkunftsland zurückgewiesen werden, in dem Folter, Erniedrigung oder auch Tod drohen. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht wird erst und nur bei Antrag nach drei Jahren erteilt. Das ist keineswegs mit der Istanbul‑Konvention vereinbar. Gewaltbetroffene Migrantinnen sind ebenso zu schützen wie alle anderen Frauen im Staatsgebiet. Die derzeitige Regelung, die auch mit der Istanbul-Konvention beibehalten werden soll, ist völlig inakzeptabel, ja, sie ist barbarisch.

(Beifall)

Die Instabul-Konvention beinhaltet einen umfassenden Ansatz bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Er umfasst alle Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt, körperliche, seelische und sexuelle Gewalt, aber auch Stalking, Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung. Den Verfassern der Istanbul-Konvention möchte ich an dieser Stelle einfach einmal danken. Die IK ist wirklich ein Grund, die EU zu lieben und zu verteidigen. Diese Istanbul-Konvention ist ein Bollwerk gegen die frauenfeindliche, antifeministische, diskriminierende und rassistische Agenda der internationalen Rechten.

(Beifall)

Sie nennt geschlechtsspezifische Gewalt beim richtigen Namen. Es sind Menschenrechtsverletzungen. Menschenrechtsverletzungen haben immer niedere Motive. Femizide Tötungen von Frauen während oder nach Beziehungen können eben auch Mord und nicht nur Totschlag sein. Das muss auch die Justiz begreifen. Es gibt in Deutschland Handlungsbedarf, das ist unstrittig. Die Kriminalstatistik 2018 zeigt für Frankfurt drei femizide, drei Todesfälle, 546 Verstöße gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht, also Vergewaltigungen, Belästigungen, häusliche Gewalt, und 100 Fälle von Stalking. Aber das sind lediglich die bekannten Fälle. Es ist das Hellfeld. Und auch die jüngsten Untersuchungen der Kripo Mecklenburg-Vorpommern zeigten auf, dass immer noch von einem Dunkelfeld von ungefähr 95 Prozent auszugehen ist. Wir müssen also von 25.000 Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt in Frankfurt ausgehen. Das korrespondiert auch mit den Werten, wie viel Frauen Gewalterfahrung in ihrem Leben erfahren mussten.

25.000 Menschenrechtsverletzungen in jedem Jahr in Frankfurt. Wir GRÜNE werden alles daran setzen, die Istanbul-Konvention in Frankfurt eins zu eins umzusetzen. Mit der Ratifizierung ist klar, es sind nicht länger freiwillige Leistungen der Kommune, es sind Pflichtaufgaben. Die AfD und andere können also ihre Textbausteine zum Haushalt löschen. Frankfurt wird weiter stark für Frauenrechte sein.

Ich danke Ihnen!

(Beifall)

Stadtverordnete Ursula auf der Heide, GRÜNE:

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Um noch einmal die ständig wiederholte Frage aufzugreifen: Was es in Frankfurt an Maßnahmen gibt, liebe Kollegin Wüst, das wissen wir. Da brauchen wir nur in den Haushalt zu gucken. Das weiß natürlich auch das Frauendezernat. Unser Antrag geht genau dahin: Mit dem Darmstädter Verfahren wird nicht nur das erhoben, was schon da ist, sondern Artikel für Artikel festgestellt, wo möglicherweise noch Bedarfe sind. So weit, so gut und auch so schnell. Aber die Frage, wie diese Bedarfe am besten abgedeckt werden können, ist damit nicht automatisch erkannt. Es ist derzeit so, dass bundesweit die Verfahren und die Maßnahmen vom Deutschen Institut für Menschenrechte evaluiert werden. Dieses ist unterwegs, es war auch in Frankfurt, es hat sich hier Verfahren angeschaut, hat NGOs und die Referentin im Frauenreferat interviewt. Das Institut evaluiert zurzeit im Auftrag der Bundesregierung alle Maßnahmen, um die es in Bezug auf die Artikel der Istanbul-Konvention geht, und wird dann Empfehlungen an die Länder und an die Kommunen richten. Man muss keine Prophetin sein, um zu wissen, dass sich entlang dieser Empfehlungen dann die Finanzzuwendungen orientieren werden. Also macht das aus meiner Sicht absolut Sinn, jetzt schon die bereits vorliegenden Bedarfe von den NGOs aufzusammeln, aber dann eben

zu schauen, ob es nicht möglich ist, dass es eine andere Stadt gibt, die es noch besser macht oder anders oder effektiver. In der Evaluierung des Bundes wird sich das eben herausstellen.

Noch einmal zu dem Vorwurf, dass die Frauendezernentin, sie ist leider wegen eines Krankheitsfalls abberufen worden, sich des Themas nicht längst angenommen hat, das ist Unfug. Es gibt eine Referentin im Frauendezernat, die längst dieses Thema betreut und die Ansprechpartnerin des Landes und aller anderen Stellen ist, die dazu etwas haben wollen. Es fehlt der formelle Akt zu erklären, wer die Koordination hat, wer den Hut auf hat und da ist, um es nach außen zu erklären. Aber ich denke, das wird schnell geregelt. Das ist nicht der Hinderungsgrund, etwas zu tun, und auch die Haushaltsverhandlungen sind es nicht – das wird der Kämmerer gut wissen. Es sind nämlich Pflichtaufgaben, und das Gute an Pflichtaufgaben ist, das steht auch in der Konvention, dass sie nicht an Haushaltsrunden gebunden sind, das heißt, wenn im Verlauf des Doppelhaushaltes Empfehlungen für bestimmte Maßnahmen kommen, die die Kommunen auszuführen haben, die logischerweise Geld kosten, dann müssen die Mittel fließen. Da muss es einen Nachtragshaushalt geben, das ist das Schöne bei Pflichtaufgaben.

Vielen Dank!

(Beifall)