Mai 4, 2022

29.09.2011 Med. Akutversorgung vergewaltigter Frauen

Herr Stadtverordnetenvorsteher,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

 

In den Fachausschüssen habe ich länger als üblich ausgeführt, wie der aktuelle Status des Modellprojekts zur Akutversorgung vergewaltigter Frauen in Frankfurt ist und warum es wichtig ist, a) das Verfahren auszuweiten und b) den Zugang zur medizinischen Akutversorgung zu verbessern, das heißt, diesen vor allen Dingen situationsangemessen, einfach und verlässlich zu gestalten und das Verfahren und die Anlaufstellen so breit wie möglich publik zu machen. Ich habe auch berichtet, dass dieses Vorhaben unter anderem ganz im Sinne des stellvertretenden Bundesvorsitzenden des Fachverbandes der Frauenärzte ist und dass es glücklicherweise schon Anfragen von zwei Krankenhäusern in Frankfurt gibt, die sich weiter professionalisieren und an dem Verfahren beteiligen wollen. Auch wenn leider noch immer nicht alle Fraktionen überzeugt werden konnten, so möchte ich heute dazu sprechen, warum es notwendig und hilfreich ist, dieses Thema in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung auf der TO I zu besprechen. Hierzu möchte ich zunächst Ihr Vorstellungsvermögen bemühen.

 

Stellen Sie sich vor, Ihre Freundin, Ihre Schwester, Ihre Tochter, Ihre Ehefrau, Ihre Nichte, Schwiegertochter oder Enkelin kommt völlig aufgelöst nach Hause und nur nach gutem Zureden erzählt Sie Ihnen, dass ihr Gewalt angetan wurde. Sie sind entsetzt. Sie spenden Trost und wollen natürlich wissen, wie ist das geschehen, wer war das denn? Aber sie möchte nichts weiter sagen, sie möchte einfach nur duschen und sich verkriechen. Wie würden Sie helfen? Sie würden versuchen, Vertrauen, Sicherheit und Trost zu geben. Nach einer Weile ist sie bereit, mehr zu erzählen, und dann bricht es aus ihr heraus, dass es kein Unbekannter war, sondern der frühere Freund oder der Vorgesetzte, der Sohn ihrer eigenen Freundin, ihres Geschäftspartners, der Geschäftspartner selbst, ein beliebtes Mitglied des Sportvereins, ein Parteifreund. Es könnte aber auch sein, dass sie erzählt, nach einem Drink keinerlei Erinnerung mehr zu haben, dass ein Filmriss eingetreten ist. Das sind schwer zu ertragende und verstörende Gedanken und Vorstellungen, und ich bitte um Entschuldigung, wenn ich jemandem von Ihnen damit zu nahe getreten bin.

 

Keiner von uns möchte sich vorstellen, dass er sich mit solchen Fragen tatsächlich befassen muss, ebenso wie sich keine Frau vorstellen kann, dass sie tatsächlich vergewaltigt wird, dass ausgerechnet ihr so etwas passiert. Aber das ist quer durch alle Bevölkerungsschichten alltägliche Realität mit zerstörerischen Folgen für die betroffenen Frauen und Familien, und das macht die soziale Dimension dieses Themas deutlich. Deshalb ist es auch eine soziale und politische Aufgabe, sich dieser Realität zu stellen, Scham und Ängste zu überwinden und eine aufgeklärte Debatte darüber zu führen, wie die Opfer die notwendige Unterstützung, Hilfe und Anerkennung ihrer Leiden erhalten können und was die Stadt, was wir dafür tun können.

 

Die Sicherstellung einer möglichst raschen medizinischen Akutversorgung nach dem Modellverfahren ist der erste wichtige Schritt, der den Frauen zunächst einmal die Angst vor körperlichen Schäden, Infektionen und ungewollter Schwangerschaft nehmen kann und sie von der sofortigen Entscheidung zu strafrechtlichen Fragen entlastet. Mit dem Frankfurter Frauennotruf haben wir außerdem eine von der Staatsanwaltschaft, Polizei und Ärzten anerkannte, kompetente und seriöse Anlaufstelle, der sich die Frauen uneingeschränkt anvertrauen können und wo weitere Wege, wie psychologische Beratung und rechtliche Schritte, im geschützten Rahmen besprochen werden können.

 

Dann ist doch alles getan, könnte man denken. Nein, dem ist nicht so. Vergewaltigung ist ein schweres Gewaltverbrechen, trotzdem bleiben bis zu 95 Prozent dieser Taten im Dunkeln, so ist es in einer vom Bundesfamilienministerium beauftragten Studie zu Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland aus dem Jahre 2004 nachzulesen. In diesem Umfang kommt es weder zu einer medizinisch adäquaten Versorgung, Beratung oder Therapie noch zu einer Anzeige. Die 100 Fälle, über die heute in der Presse berichtet wurde, sind die Hellfälle, das sind die fünf Prozent. 95 Prozent kommen in überhaupt keiner Statistik vor. Das ist ein gewaltiges soziales und gesellschaftliches Dunkelfeld. In der polizeilichen Kriminalstatistik des Frankfurter Polizeipräsidiums aus dem Jahre 2010 heißt es auf den Seiten 22 und 23 zum Thema häusliche Gewalt, dass zur Erhellung des Dunkelfeldes, neben der polizeilichen Strafverfolgung und dem Mut der Betroffenen selbst, ich zitiere: .öffentliche Diskussionen die Anzeigebereitschaft gefördert haben und als Schutz für die betroffenen Familien zu werten sind..

 

(Beifall)

 

Diese Entwicklung gibt es bei Vergewaltigungen leider nicht. Die öffentliche Prozessberichterstattung zu den prominenten Fällen – ich muss die Namen hier nicht erwähnen – haben, was sicher niemanden verwundert, genau das Gegenteil bewirkt. Sie haben die Verunsicherung und Angst vergrößert. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir als Frankfurter Stadtverordnete den Anstoß für eine aufklärende und dem Thema angemessene Diskussion geben.

 

Es sollte heute ein starkes Signal von diesem Haus in die Stadt gehen. Ein Signal, das sagt, dass die Stadt Frankfurt einen vorbildlichen Opferschutz organisiert und unterstützt. Diese Stadtverordnetenversammlung lässt es nicht zu, dass das Problem bagatellisiert, die Opfer diffamiert und deren Menschenwürde erneut verletzt wird, wie es in diesem schäbigen Antrag der FDP versucht wird.

 

(Beifall)

 

Wir setzen uns für Rahmenbedingungen ein, die Betroffenen durch eine gute medizinische Versorgung und auf Wunsch eine adäquate Beweissicherung erste Schritte der Bewältigung der Tat ermöglichen und die es auch den Tätern ermöglichen, sich – wie es in der Bürgerfragestunde des Ausschusses für Soziales und Gesundheit gesagt wurde – der Situation zu stellen und persönlich weiterzuentwickeln.

 

Wir überlassen das Thema nicht dem Boulevard. Wir stehen dazu, dass solche Gewaltverbrechen aus dem Dunkel ins Licht kommen sollen und erkennen den sozialen und gesellschaftlichen Handlungsbedarf. In Frankfurt am Main werden Frauen und ihre Familien nicht alleine gelassen. Mit der Zustimmung zur Vorlage NR 68 und der heutigen Debatte machen wir den ersten wichtigen Schritt.

 

Ich danke Ihnen!

 

(Beifall)