Mai 5, 2022

28.01.2016 Stoppt Sexismus

Herr Vorsteher,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

 

Beginnen möchte ich mit einem Dank an die Dezernentin. Danke, Sarah Sorge, für den Klartext hier und auch schon vorher in der Presse. Von Schweigen überhaupt keine Spur, wie andere das behauptet haben.

 

(Beifall)

 

Die Taten in Köln sind verabscheuungswürdig und müssen einschließlich der verstörenden Begleitumstände aufgeklärt werden. Verschleierung, Zurückhalten von Informationen ist immer die falsche Strategie, auch wenn es in Köln möglicherweise geschehen ist, um rassistischen Furor zu vermeiden. Zum Glück aber informiert der Frankfurter Polizeipräsident besonnen und klar. Ja, es ist notwendig, darüber zu sprechen, wer die Täter sind und warum sie Täter sind. Es ist über deren Frauenbild zu sprechen und darüber, wie das verändert werden kann. Das steht für uns GRÜNE außer Frage und nicht erst seit Köln.

 

(Beifall)

 

Die mühsam errungenen Verbesserungen in der Gleichstellung für Frauen werden wir gegen jegliche Bestrebungen verteidigen, ob in den Schulen oder im öffentlichen Raum. Zuwanderer beiderlei Geschlechts müssen das akzeptieren. Wir werden hier aber keine Fortschritte und Veränderungen erzielen, wenn wir nicht reflektieren, wie es um das Frauenbild in Deutschland bestellt ist, wie unmissverständlich wir uns in allen Lebensbereichen für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen und gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt stellen müssen. Wir gehen davon aus, dass es selbstverständlicher Teil unserer Kultur ist, dass man Frauen nicht so behandelt, wie es an Silvester öffentlich wurde. Die Realität ist aber leider eine andere, wie alle Studien zeigen, und das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Welchen Eindruck vermittelt es, wenn es zwar reichlich Vorschriften in unserem Land gibt, wie man Auto fahren, Häuser bauen oder Müll trennen soll, aber sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum, im Unterschied zum Arbeitsleben, ohne Konsequenzen bleibt?

 

(Beifall)

 

Welchen Eindruck vermittelt es, wenn in der aktuellen Debatte sehr viel über die Täter gesprochen wird, aber schon lange nicht mehr über die Opfer? Wo sind denn die nachdrücklichen Aktivitäten für mehr Geld der Beratungseinrichtungen? Wer hat in Köln oder in Frankfurt einen Anwaltsfonds eingerichtet? Wo sind die Anstrengungen für eine wirksamere Form des Sexualstrafrechts und eine Regelung für Verstöße gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung? Nach nur 27 Tagen wurde in Berlin ein Gesetz zur Neuordnung der Abschieberegelung durchgezogen. Wieso ist es nicht möglich, im Sexualstrafrecht auch so schnell zu handeln? Seit Jahren liegt das auf Halde.

 

(Beifall)

 

Dieses Berliner Recht ändert für die Frauen, die abgeschoben werden, überhaupt nichts. Im Gegenteil, sie werden erneut alleine gelassen. Nach hochnotpeinlicher und detaillierter Schilderung der Übergriffe bei Polizei und Gericht werden die meisten erleben, dass die Täter höchstens wegen Handydiebstahl belangt und alle anderen Verfahren niedergeschlagen werden. Es ist beschämend und es macht wütend, wie die Übergriffe auf Frauen instrumentalisiert werden, um andere Themen zu befördern. Es ist eine im politischen Raum überwiegend von Männern geförderte Debatte. Wer hat eigentlich einmal die Frauen gefragt, wie es ihnen mit diesen fremdbestimmten Debatten geht? Wer hat gefragt und hingehört, was sie wollen. Statt endlich die Rechtsnormen zu schaffen, die Sexismus und sexualisierte Gewalt ächten und unter Strafe stellen, werden weitere Ängste geschürt, die Angst vor dem schwarzen Mann. Der Präventionsrat rät Frauen, das habe ich heute in der Zeitung gelesen, die abends alleine unterwegs sind, ein Taxi zu nehmen und nicht den ÖPNV zu nutzen. Das ist unglaublich.

 

(Beifall)

 

Viele Frauen haben aber nicht erst seit Silvester Ängste, sich alleine im öffentlichen Raum zu bewegen. Aber Vermeidung und Verhaltensvorschriften an die Frauen sind die völlig falsche Antwort. No-go-Areas und ‑Zeiten in Frankfurt sind für uns GRÜNE ein No-Go. Das darf es nicht geben, nicht für Frauen, nicht für Schwule, die Händchen halten, nicht für Juden, die eine Kippa tragen, und auch nicht für Menschen mit dunkler Hautfarbe.

 

(Beifall)

 

Die Debatte ist aktuell deutlich mehr durch Ängste und Unsicherheiten von Männern geprägt, die über den alltäglichen Sexismus, sexualisierte Gewalt, Vergewaltigung und das Strafrecht in Deutschland nicht reden wollen, nicht in der Politik und nicht im Privatleben. Auch wenn wir heute aufgrund der vorliegenden Anträge und Erfahrungen mit der Diskussion über die medizinische Akutversorgung mit einigen widerwärtigen und frauenfeindlichen Beiträgen rechnen müssen, ist es doch sehr wichtig, dass wir dieses Thema heute aufgreifen und die Dinge beim Namen nennen.

 

Die Debatte wird auch bei männlichen Zeitgenossen, auch wenn sie nicht von einer Sexismuslüge, Genderwahn-Gedöns oder dergleichen sprechen, von einem grundlegenden Missverständnis über Sexismus und sexualisierte Gewalt beherrscht. Diese Taten sind nachweislich nicht sexuell motiviert. Ursächlich ist keineswegs ein übersteuerter oder fehlgeleiteter Sexualtrieb, ein Defizit der Möglichkeiten sexueller Betätigung, wie derzeit suggeriert wird. Wer Frauen sexuell attackiert und vergewaltigt, will erniedrigen, diskriminieren, demütigen, Angst machen, terrorisieren, Macht ausüben, und nicht kulturelle, sondern patriarchale Strukturen und Sichtweisen sind ursächlich. Frauen werden als Eigentum von Männern gesehen. Deswegen wird sexualisierte Gewalt gegen Frauen als Waffe und Vernichtungsstrategie in kriegerischen Auseinandersetzungen benutzt, in allen Kulturen und in allen Kriegen. Diese patriarchische Sichtweise ist anzugehen, sie ist nicht Bestandteil unserer Staatsräson. Das Grundgesetz sagt etwas völlig anderes, und das müssen wir angehen.

 

(Beifall)

 

Es sind frauenverachtende Taten und Sichtweisen, die geächtet und geahndet werden müssen, egal, von wem sie ausgehen. Der aktuell diskutierte Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium bringt aber keinen Paradigmenwechsel hin zu einem voraussetzungslosen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Ein Nein reicht nach wie vor eben nicht. Strafbarkeit bei Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist nach der Rechtssprechung nach wie vor nur bei erheblichen sexuellen Handlungen gegeben. Ich erspare Ihnen jetzt, detailliert zu schildern, wo da die Grenzen verlaufen. Die Silvester‑Taten bleiben danach jedenfalls überwiegend straffrei.

 

Welche Gesetzesänderung es wirklich braucht, dazu gibt es fundierte Stellungnahmen des Juristinnenbundes und der Frauennotrufe. Ich fordere Sie hier alle auf, bei Ihren abgeordneten Kollegen im Bundestag darauf zu dringen, dass diese Änderungen endlich beschlossen werden. Aber es braucht noch mehr als eine Gesetzesänderung. Es braucht, wie der Bundesverband der Frauennotrufe ausführlich zitierte, wirksame Strategien zur Prävention und zum Schutz vor sexueller Gewalt, und zwar solche, bei denen die Täter und nicht die Frauen ihr Verhalten ändern müssen. Es braucht Polizei und Sicherheitsdienste, die für die Dynamik sexualisierter Gewalt sensibilisiert und gut geschult sind. Es braucht Aufmerksamkeit und starke Kampagnen im öffentlichen Raum, die deutlich machen, dass die Grenzen anderer Personen und deren sexuelle Integrität unantastbar sind. Außerdem bedarf es der öffentlichen Debatte um das Geschlechterverhältnis.

 

Wir sind in Frankfurt zum Glück durch die medizinische Akutversorgung nach einer Vergewaltigung und durch unter anderem die Kampagne „Respekt stoppt Sexismus“ schon ein ganzes Stück weiter. Ich bin sehr froh, dass wir heute einen Beschluss fassen werden, dass wir an dieser Stelle weitermachen und mehr dafür tun, dass sich Frauen in Frankfurt überall und zu jeder Tageszeit sicher bewegen können.

 

Danke schön!

 

(Beifall)