Mai 5, 2022

23.05.2019 Kommunaler Klimabericht

Herr Vorsteher,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

 

„Der 9. Mai 2019 markiert einen Wendepunkt in der Erdgeschichte“, so der Geschäftsführer des Frankfurt Conservation Centers. Der an diesem Tag veröffentlichte Bericht des Weltbiodiversitätsrates zeigt auf, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine Millionen Arten vom Aussterben bedroht sind, wenn es zu keinen grundlegenden Änderungen bei der Landnutzung, beim Umweltschutz und der Eindämmung des Klimawandels kommt. Zudem ist der CO2‑Wert auf der Erde so hoch wie seit 300 Millionen Jahren nicht. Es vergeht kein Tag ohne alarmierende Meldungen. Der Klimawandel vollzieht sich deutlich schneller als angenommen. Im zitierten Biodiversitätsbericht wird ein Zeitraum von nur 30 Jahren für die dramatischen Veränderungen angesetzt. Ähnlich zum Beispiel der Planungshorizont von Stadtentwicklung, das heißt in unserer Verantwortung entscheidet sich nicht nur wie die Stadt, sondern auch wie der Planet in 30 Jahren aussieht.

 

In den letzten Tagen gab es Kritik am Umgang der Koalition mit dem Stadtentwicklungskonzept. Im Vordergrund stand dabei die Kritik an der Handlungsfähigkeit. Aber ich frage Sie, ob das tatsächlich die relevante Frage in diesem Zusammenhang ist. Für uns GRÜNE ist entscheidend, ob eine Einigung zu einer zumindest klimaneutralen Stadtentwicklung gefunden wurde. Wir wollen nicht weniger als andere Antworten auf die der drängenden Wohnungsbauprobleme geben. Schon unter dem grünen Planungsdezernenten Olaf Cunitz wurde deswegen ein umfangreiches Wohnbauentwicklungsprogramm auf-gestellt und unter anderem das Projekt Ernst May aus der Taufe gehoben.

 

Wer heute den achtsamen Umgang mit Frei- und Ackerflächen rückwärtsgewandt nennt – das war nicht der Planungsdezernent – und als unsozial, nur klientelorientierte Verhinderungspolitik bezeichnet, der macht es sich doch zu einfach.

 

(Beifall)

 

Blaupause für uns GRÜNE ist der Klimaplanatlas, nicht der Stimmanteil in den Wahlbezirken. Der Klimaplanatlas zeigt unmissverständlich, dass es vor allem die wasserspeichernden Ackerböden im nordwestlichen Stadtgebiet sind, in denen die Kaltluft in der Nacht abgegeben wird und über die Luftleitbahnen in die Stadt fluten kann. „Das ist Physik, Leute, keine politische Meinung“, würde Professor Lesch sagen.

 

Frankfurt war 2018 die heißeste Stadt Deutschlands. Wir brauchen diese große Kaltluftdrift für gesunde Wohnverhältnisse.

 

(Beifall)

 

Das muss sich auch in der Strategiekarte niederschlagen und nicht nur in dem hervorragenden Textteil zum ISTEK. Tatsächlich offenbart auch die pauschale Forderung nach Aufgabe von Ackerflächen im Stadtgebiet ein gestriges, ich sage, kolonialistisches Verständnis einer globalen, aber auch einer Stadt-, Land-, Arbeits- und Flächenaufteilung.

 

Frankfurt baut Arbeitsplätze, Kulturbauten, Wohnungen, Flughafen und macht die Gewinne. Die Kartoffeln kommen aus der Wetterau. Das Viehfutter für die Gref-Völsings wird in Afrika und Südamerika angebaut. Der Vogelsberg sorgt für das Wasser. Der Strom kommt aus der Steckdose und das Essen von REWE. Das ist rückwärtsgewandt, nämlich ins industrielle Zeitalter.

 

(Beifall)

 

Im Zeitalter der Erderwärmung, des Artensterbens und einer rasant wachsenden Weltbevölkerung muss umgedacht werden. Unstrittig ist zu diskutieren, in welchem Umfang und welcher Art Landwirtschaft in Frankfurt ihre Berechtigung hat. Aber die Zukunft gehört nur den Städten, die einen eigenen Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und dem Trinkwasser leisten. Nur so sind auch die CO2‑Ziele zu verwirklichen.

 

(Beifall)

 

Wie sieht es heute mit dem Beitrag Frankfurts zur Erreichung des CO2‑Zieles aus? Uns liegt der umfangreiche kommunale Klimabericht für Frankfurt zur Beschlussfassung vor. Mit dem mehrfach preisgekrönten „Masterplan 100 % Klimaschutz“ wurde lange vor dem Klimagipfel in Paris ein Konzept erarbeitet, in dem im Detail dargelegt ist, wie Frankfurt bis spätestens 2050 zu 100 Prozent klimaneutral sein kann. Der Bericht listet Bausteine zur Umsetzung des Konzepts auf, die hier nicht alle aufgezählt werden sollen. Nennen möchte ich aber langjährige Beststeller, wie Ökoprofit für Unternehmen, die Stromsparberatung für Haushalte mit geringem Einkommen, das Mainova-Mieterstrommodell und den Passivhausstandard. Viele neue Bausteine, wie zum Beispiel das Abwärmekataster, das erste nachhaltige Gewerbegebiet, der Ausbau von Fotovoltaik, 13 Repair Cafés und umfangreiche Beratungsangebote sind hinzugekommen. Für diese ambitionierte Arbeit möchte ich an dieser Stelle der Umweltdezernentin – gute Besserung Rosemarie – und auch dem Team des Energiereferates herzlich danken.

 

(Beifall)

 

Der Bericht zeigt, dass zunehmend auch in anderen Dezernaten und Ämtern das Thema Klimaschutz an Bedeutung gewonnen hat. Er zeigt aber auch, dass wir in vielen Bereichen noch am Anfang stehen, wie zum Beispiel bei der CO2-freien Mobilität. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass nur wenige Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer, Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern auf die Angebote zur Energieeffizienz, zur energetischen Sanierung und Gewinnung von regenerativen Energien ansprechen. Hier müssen wir an Tempo gewinnen. Viele Entwicklungen sind schneller gelaufen, als zum Zeitpunkt der Erstellung des Masterplans absehbar war. Deswegen ist es sehr gut, dass die Umweltdezernentin derzeit mit ihren Ämtern an einer Aktualisierung arbeitet. Die erfolgreiche Umsetzung des Masterplans und damit die Erreichung der Klimaziele wird aber nur gelingen, wenn alle Dezernate und wenn wir als politisch Verantwortliche bei unseren Entscheidungen nicht nur alles unter einen Haushalts-, sondern auch unter einen Klimavorbehalt stellen.

 

(Beifall)

 

Wir können damit auch nicht warten, bis nach Kommunalwahlen Koalitionsverträge neu verhandelt werden. Handelt endlich, damit wir eine Zukunft haben. Das ist die berechtigte Forderung der Jugendlichen von Fridays for Future. Niemand muss dabei sein Parteiprofil verraten. Ökonomie und Ökologie brauchen einander. Die Folgen des Klimawandels fügen der Wirtschaft enormen Schaden zu. Große Versicherer und Industrieunternehmen erkennen das und arbeiten am Wandel zu wenigstens klimaneutralen Geschäftsmodellen. Die ökologische Transformation braucht Unternehmen, die neue Produkte und Dienstleistungen hierzu entwickeln und bereitstellen. Die soziale Frage im 21. Jahrhundert ist die des Klimawandels. Unsozial und ungerecht ist es, nicht entschieden gegen den Klimawandel zu kämpfen. Wer arm ist, den trifft der Klimawandel viel härter, obwohl er wesentlich weniger dazu beigetragen hat. Nur drei Prozent der Weltbevölkerung sind im letzten Jahr geflogen.

 

Der Klimawandel wird Arbeitsplätze vernichten. Er wird Milliarden verschlingen für die Wiederherstellung zerstörter Infrastruktur, für die Versorgung von Millionen von Klimaflüchtlingen, für Aufbauhilfen und Ausgleichszahlungen. Milliarden auch an öffentlichen Mitteln, die dann für soziale Errungenschaften – auch sozialen Wohnungsbau – fehlen werden. Klimapolitik ist Sozialpolitik.

 

(Beifall)

 

In Frankfurt müssen wir mehr Bürgerinnen und Bürger, mehr Unternehmen bei der Bekämpfung des Klimawandels mitnehmen. Das ist nicht nur Aufgabe des kleinen Energiereferats. Diese Überzeugungsarbeit ist eine Aufgabe für alle Dezernate und Ämter. Und es ist vor allem unsere Aufgabe als politisch Verantwortliche. Sie wird uns besser gelingen, wenn wir endlich ein Kohlekraftwerk abschalten – auch wenn das wirtschaftlich noch länger profitabel wäre -, wenn wir die Stadt und den Wohnungsbau vom Klima her entwickeln und wenn wir bei der Wende zu einem CO2‑freien Verkehr vorangehen, statt uns von Bürgerinnen und Bürgern und Landesministerinnen und Landesministern schubsen zu lassen.

 

(Beifall)

 

Man kann der Koalition ja manches vorwerfen, aber sicher nicht, dass sie sozialpolitisch unterbelichtet ist, keiner der Partner.

 

Klimapolitik ist Sozialpolitik, Politik für nachfolgende Generationen, für Kinder, die nicht mitentscheiden können. Wir stehen am Wendepunkt.

 

Vielen Dank!

 

(Beifall)