Mai 5, 2022

10.12.2020 Pandemie und Sexarbeit

Herr Vorsteher,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

 

Was haben Sexarbeit und Familientreffen an religiösen Feiertagen gemeinsam? Sie finden statt. Auch in einer Pandemie. Sie finden statt, trotz Verboten und Empfehlungen, weil sie offensichtlich menschlichen Bedürfnissen folgen, auch wenn Sexarbeit und Prostitution in der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung des Landes Hessen als nicht notwendiger Zweck bezeichnet werden.

 

Aber wie, frage ich Sie, sind die täglich 1,2 Millionen Bordellbesuche in Deutschland anders zu erklären? Ich werde mich hier nicht auf virologisches Glatteis begeben und Vermutungen äußern, welche Veranstaltung, Sexarbeit oder Familienfeier, in einer Pandemie problematischer ist.

 

Für die politischen Entscheidungen in beiden Bereichen gilt aber, man muss auch mit den Konsequenzen umgehen, mit der Gefahr einer dritten Welle, im Januar zum Beispiel, oder mit fortgesetzter Sexarbeit in der Illegalität, ohne jede Kontrolle. Mit der Verordnung vom 17. März 2020 wurden in Hessen alle Bordelle, Laufhäuser und Prostitutionsstätten geschlossen. Im Zusammenhang mit den Arbeitsverboten für andere körpernahe Dienstleistungen im ersten sogenannten Lockdown war das nachvollziehbar. Allerdings standen in diesem Berufszweig Überbrückungshilfen und Transferleistungen nie zur Diskussion, mit verheerenden sozialen Folgen für die Sexarbeiterinnen. Diejenigen, die bisher ausschließlich in Laufhäusern gearbeitet und teilweise auch gewohnt haben, wurden mittel- und wohnungslos und dadurch gezwungen, in noch menschenunwürdigeren Verhältnissen zu existieren, zum Beispiel auf der Straße. Dort fallen sie jetzt auf und prompt kommen Beschwerden aus dem Quartier, so wie bei den Drogenkranken auch.

 

Verkauf und Kauf von sexuellen Dienstleistungen finden weiter unvermindert statt, nun illegal an anderen Orten, vorzugsweise in Hotels ohne Kontrolle des Infektionsgeschehens. Illegalisierung und Verfolgungsdruck durch die Polizei und die Ordnungsbehörden führen nachweislich dazu, dass die Sexarbeiterinnen stärker von Gewalt bedroht sind. Sie nehmen auch ihre Rechte, zum Beispiel auf Gesundheitsberatung, Hilfe bei Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Körperverletzung und Zwangsprostitution nicht in Anspruch. Bei Kontrollen und Verhängung von Bußgeldern werden überwiegend Sexarbeiterinnen belangt. Es ist gut zu hören, Herr Stadtrat, dass die Hotels auch teilweise herangezogen werden, aber eben nicht die Freier. Die Schließung von Prostitutionsbetrieben kriminalisiert damit letztlich vor allen Dingen die Sexarbeiterinnen. 1,2 Millionen Männer, in Frankfurt also ungefähr 12.000, nehmen weiter täglich, jetzt illegal, sexuelle Dienstleistungen in Anspruch und leben ihr bürgerliches Leben ohne Angst vor ordnungsrechtlichen oder gesellschaftlichen Konsequenzen weiter. Die einseitige Illegalisierung der Sexarbeiterinnen muss ein Ende haben.

 

(Beifall)

 

Wir erwarten, dass der Magistrat hierzu Wege findet. Zielsetzung der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung ist die drastische Reduzierung von sozialen Kontakten außerhalb des eigenen Hausstandes. Da das nicht funktioniert, muss darüber nachgedacht werden, wie das Geschehen kontrollierbar gemacht werden kann, ohne einseitig zu illegalisieren. Andere Vorgehensweisen sind möglich, das zeigen Beispiele aus anderen auch hessischen Städten. Wir erwarten außerdem, dass humanitäre Mindeststandards in Frankfurt gewahrt werden. Bei fortgesetztem Verbot ist es eine soziale Verpflichtung des Landes, aber auch der Stadt, den Sexarbeiterinnen, die das wollen, nicht wenige scheuen jedes Amt, Überbrückungshilfen, Transferleistungen und Beschäftigungsangebote zur Verfügung zu stellen, und zwar diskriminierungsfrei und ohne Ausstiegsauflagen.

 

(Beifall)

 

Ein Ziel, das mit der Errichtung des Fachbeirats Prostitution verfolgt werden soll, ist die Verhinderung der Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen in der Sexarbeit. Der Fachbeirat sollte sich umgehend zu einer Sondersitzung zusammenfinden, um festzulegen, in welcher Art und in welchem Umfang Unterstützung erforderlich ist und welche Probleme zu lösen sind. Und dann sollten wir nicht nur mit dem Finger auf das Land zeigen, sondern selbst tätig werden.

 

Danke schön!

 

(Beifall)